Bücher

Falsche Himmel

Und dann kommt wieder die Nacht, lässt sich fallen wie ein Tier, es wird heißer.

Nüchterne Zahlen markieren die Lage: „Sonntag, 10. August, Uhrzeit: 21.40, Temperatur: 37°C, Ozonwert: 360, Zustand des Himmels: klar.“
Das 18. Stockwerk eines Hochhauses ist zum Refugium für eine Frau und ihre Tochter geworden. Während draußen noch immer Fassadenkletterer und Bungee-Springer ihre anstrengenden und absurden Akte vollziehen, versucht die Frau, sich Klarheit zu verschaffen, Rechenschaft abzulegen und dem Leben eine letzte Form zu geben. Ihre halbwüchsige Tochter streift in der Stadt umher, auf der Suche nach Material für eine Skulptur. Die Frau schreibt Tagebuch, sie zeichnet auf, was vor sich geht. Sie weiß, wenn das letzte Blatt gefüllt ist, werden sie die Stadt verlassen müssen.
Die anderen sind schon dabei zu gehen, formieren sich schon wieder zu stammesähnlichen Gruppen, schnell passen sie sich den neuen Bedingungen an. Zurück bleiben die, die auf ihre Individualität pochen, Trotzige und Wunderliche wie der Puppenspieler Donati, der unentwegt Rimbaud zitiert und sein krankes Kind mit wildem Trotz am Leben hält, der Interviewer, der immer weiter dieselben Fragen stellt, und die Aktionskünstlerin, die ihre nächste Performance plant, auch wenn es längst kein Publikum mehr gibt.
In ihrem eindringlichen Roman zeigt Liane Dirks den Vorgang einer poetischen Inventur, grotesk bisweilen und voll schwarzem Humor.
Getragen von einer tiefen Liebe zur Welt und einer innigen Beziehung zu ihrer Tochter gelangt die unermüdliche Archivarin zu überraschenden Einsichten: „Liebe kann so schnell bedrohlich sein, und trotzdem ist Bedrohung niemals Liebe.“
Atemlos folgt man zwei Heldinnen auf einem unausweichlichen Weg.

Stimmen
Während des Lesens lehnt man sich auf, es wird ein „Ich-will-leben!“ so bewusst, als wäre morgen Schluss mit der Welt. Eine bedrückend mögliche, eine apokalyptische Vision. Ein Buch mit dem beeindruckenden Mut, in unsere Ängste zu greifen.
Rheinischer Merkur

Der Roman kombiniert in kühnen Schnitten Märchentraum und Nüchternheit, Nachtvogelpoesie und Leichenfund. Das schmale Buch kreist höchst suggestiv um das Schöne im Schrecklichen, um die Liebe im Untergang, und übt das erfolgreiche Verstummen mitten im Satz.
Der Spiegel

Ein wundersames, mysteriöses, angenehm irritierendes Buch, das den Eindruck von Endzeit  erweckt.
Kölner Stadtanzeiger

Ein Endzeitgesang, den Liane Dirks entwirft. Da gibt es eindringliche, poetische Stellen – sie bringen die Einsamkeit dieser Notierenden auf den Punkt, die die Hoffnung nicht aufgeben will.
Die Welt

Persönliches
Es ist das Jahr 2006, es ist Mittagszeit, ich sitze in der Dining Hall, Exeter College in Oxford, komme mir allerdings vor, als wäre ich in einem Harry-Potter-Film, und erfahre kurz darauf, dass die Filme zum Teil hier gedreht wurden. Fiktion und Wirklichkeit haben sich wieder einmal auf wundersame Art und Weise die Hand gegeben. Findet man die Wahrheit heraus, wenn man seinen Eindrücken, seinen Vorstellungen und Assoziationen, seinen Wahrnehmungen glaubt?
In Deutschland ist mein Roman „Falsche Himmel“ gerade erschienen. „Das ist doch alles bloß Fiktion, den Klimawandel gibt es nicht!“, hatte mir ein von mir hochgeschätzter Literaturkritiker wütend ins Gesicht geschleudert, warum ich mich mit so einem Blödsinn beschäftige? Ich war fassungslos. Zum einen fragte ich mich, woher die Wut kam, und zum anderen konnte ich mir keine intelligente Person vorstellen, die den Klimawandel und die katastrophalen Folgen, die er u.a. mit sich bringen wird, anzweifeln könnte. Welch Irrtum, es gibt sie ja heute noch, und leider haben sie großen Einfluss.
Kurz nach dieser Abmahnung erhielt ich die Einladung zur Tipping Point Conferene, ein weltweites Treffen von Klimaforschern und Künstlern, initiiert rundum den wunderbaren Fotografen David Buckland. Ich wusste sofort, dass ich teilnehmen werde. Und jetzt sitze ich hier in Oxford und mir gegenüber Prof. John Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, und leider sagt er etwas Schreckliches. Er sagt: „Ihr Roman ist sehr realistisch.“ Und dann sagt er noch etwas Schlimmeres, „die 2-Grad-Marke ist viel zu gering angesetzt, schon bei 2 Grad Erderwärmung werden wir furchtbare Szenarien erleben, wir wissen das, aber wir können uns nicht durchsetzen. Wir brauchen Euch Künstler, wir müssen Formen finden, um zu vermitteln, was auf uns zukommen wird.“ Extrem trockene Sommer in Folge, unberechenbare Starkregen, Stürme, Orkane, Zunahme der Hurricans an Quantität und Qualität, sowieso die Eisschmelze, all das und eben auch noch weitere Folgen. In meinem Roman hat eine Art Völkerwanderung eingesetzt, man muss Gegenden verlassen, in denen es kein Wasser mehr gibt, wie sonst sollte man überleben. „Wie können Sie bei diesen Aussichten so ruhig bleiben?“, frage ich ihn. Er antwortet nicht, er lächelt ein wenig und wendet sich dem Essen zu.
Zwei Tage währte dieses Treffen. Ich habe noch nie so viel kreative Energie, solch beseelte Menschen, solch wunderbare Künstler und derart engagierte und kluge Wissenschaftler an einem Ort zur gleichen Zeit erlebt wie unter dem Dach unseres Tagungsortes, dem Sheldonian Theatre. Ich habe noch nie von derart vielen Möglichkeiten und Alternativen zu unserer heutigen Lebensweise gehört wie dort. In den Pausen sangen wir zusammen, die beiden Nächte wurden durchdiskutiert, um uns zu erholen, spazierten wir in Gruppen und diskutierten weiter. Es gibt sie, es gibt so viele Möglichkeiten, den ausbeuterischen Umgang mit unserem Planeten zu beenden, und es darf uns sogar immer noch gut gehen dabei.
Warum, warum nur werden diese positiven, kreativen Potenziale so wenig genutzt? Warum halten wir so lange am Alten fest?
Möge meine dunkle Romanvision niemals in Erfüllung gehen.