Bücher

Die Liebe Angst

Einmal kam eine Frau an unserem Fenster vorbeigeflogen …

Nichts ist eigentlich ungewöhnlich an dieser Familie. Die Eltern und Kinder sind nett, der Vater kocht in den feinsten Hotels. Wenn nur das ewige Tingeln nicht wäre von einem Ort zum nächsten, aufbauen, abreißen, Zelte und Betten – Köche bauen kein Haus. War es nur das?
„Euer Vater hat wieder etwas angestellt“, sagte die Mutter zu den Kindern, wenn sie die Koffer packte, auf und davon – Hamburg, die Karibikinsel Barbados, München, Fürstenfeldbruck, Rothenburg ob der Tauber und schließlich Bielefeld. Wenn nur die Angst nicht wäre, die „liebe, wütige Angst“, wie Anne, die zu Beginn der Geschichte vier und am Ende elf Jahre ist, dieses Gefühl des Unbeschützten nennt. Das Mädchen erzählt die Geschichte seiner Kindheit, erzählt von der Liebe zum Vater, der mit seinen Träumen und Märchen alles verzaubern kann, der seine Sehnsüchte aber auch mit Alkohol und Sexualität stillt und doch nie satt wird und seine beiden Töchter missbraucht, über Jahre hinweg. Anne erlebt die Kälte und Wut der Mutter, die alles ahnt und nicht eingreift, sie sucht Schutz bei der älteren Schwester, erfährt, wie der Pfarrer auf Hilferufe schweigt, erleidet die Brutalität der Nachbarn, als die Bombe platzt und der Vater ins Gefängnis kommt. Und doch werden in dieser Familie auch Sterne gebastelt und Märchen erzählt, Anne tobt, spielt, lacht, baut Buden, fängt Krebse und tröstet die arme Mutter. „Ich will singen und fröhlich sein und ein ganz normales Kind“, sagt sie am Ende.

Stimmen
Dieses Buch ist mit Abstand die sensibelste und dichteste Beschreibung sexuellen Missbrauchs in der heutigen Literatur. Es zeigt besser als jedes Lehrbuch, wie Kinder Opfer sexueller Gewalt werden und mit welcher Überlebenskraft sie in der Lage sind, gegen dieses Trauma anzukämpfen.
Ursula Enders, Zartbitter, 2008.

„Die liebe Angst“ ist so leise, dass es noch in der Seele dröhnt, wenn man das Buch beiseite legt.
Renée Zucker, taz

Meines Wissens ist Liane Dirks die erste, die versucht hat, das Thema gewissermaßen literaturfähig zu machen. Sie tut es mit großer Behutsamkeit und Diskretion, indem sie nur so viel preisgibt, wie ein unwissendes Kind erfassen kann. … Wer diesen Roman als Fiktion abtun will, macht es sich entschieden zu leicht. Es gibt eine Authentizität, die nicht angewiesen ist auf Wahrheit im juristischen Sinne. Es ist die Authentizität der Gefühle, und ihr ist Liane Dirks mit ihrem Roman in höchster Weise gerecht geworden.
Klara Obermüller, FAZ

Ein anrührendes und leises, ein poetisches, ein witziges, ein trauriges Buch. Ein großes literarisches Talent macht mit diesem Erstlingsroman auf sich aufmerksam.
Alexander U. Martens, Die Welt

Liane Dirks ist der Ansatz zu einer neuen Sprache und einer neuen Sicht auf das Kindsein und Frauwerden gelungen.
Annette Beckmann, Frankfurter Rundschau

„Ein ganz normales Kind zu sein“, das verlangt die Mutter am Ende von der jetzt elfjährigen Anne. Mitten in unserer Normalität, dort, wo eben auch das Tabu, die Gewalt und „die liebe Angst“ ihr Zuhause haben, fand Liane Dirks für all das eine außergewöhnlich normale Sprache.
Roland Groß, DIE ZEIT

Schuldzuweisungen fehlen ganz in diesem Roman, der sowohl inhaltlich als auch sprachlich packend bis zur letzten Seite ist.
Gitta Hopp, Augsburger Allgemeine

Es ist die Stärke dieses Buches, nicht moralisch zu werten, sondern zu beschreiben. Und zwar in Bildern, die so wirklich sind, dass sie die Frage, ob es sich nun um eine autobiographische Geschichte handelt oder nicht, erübrigt.
Esther Schapira, Pflasterstrand

Die subtil gestaltete Naivität des Erzählens bewirkt eine poetische Intensität, die lange nachwirkt. Literarisch souverän und mit unerschütterlichem Humor fühlt sich Liane Dirks in das Erleben von Kindern ein.
Michael Santak, Skyline

Persönliches
Nun ist es über dreißig Jahre her, dass ich dieses Buch geschrieben habe.
 Tatsächlich war „Die liebe Angst“ der erste Roman, der aus der Sicht des Kindes vom Missbrauch durch den Vater erzählt hat. Viele wissen es: Das Buch ist zu einer Art Standardwerk geworden, es hat eine ganze Bewegung begleitet. Kaum ein Sachbuch über sexuellen Missbrauch, das nicht aus diesem Buch zitiert. Ich habe unzählige Lesungen und Vorträge gehalten, immer noch erhalte ich Briefe und E-Mails von Betroffenen, und vor allem habe ich inzwischen mit sehr vielen Menschen biografisch an diesem Thema gearbeitet und helfen dürfen.
Und irgendwann ist das Persönliche nicht mehr persönlich. Und darum habe ich mich entschieden, Ihnen an dieser Stelle das vollständige Vorwort der Neuauflage zur Verfügung zu stellen. Lesen Sie es, verteilen Sie es, verschenken Sie es. Es ist die Quintessenz meiner Erkenntnisse aus jahrzehntelanger Beschäftigung mit diesem Thema, und ich hoffe, sie wird gehört und sie wird wirksam.
Im Herbst 2015 wurde „Die liebe Angst“ als KiWi-Paperback neu aufgelegt. Es ist bereits die 5. Neuauflage des Klassikers.

Vorwort als PDF →