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Vier Arten meinen Vater zu beerdigen

… und du, Little, du musst auch seine Geschichte erzählen, das ist sehr wichtig, hörst du, tell his story, his, wiederholte sie.

Ein karibisches Bestattungsritual ist der Schlusspunkt eines rauschhaften Lebens und der Beginn einer berauschenden und verstörenden Geschichte:
Hamburg steht im Zeichen der Roaring Twenties, als Günther Andreas Johannes Dirks im elterlichen Schönheitssalon aufwächst, unter der Obhut eines karibischen Kindermädchens.
Er wird Koch in einem Nobelhotel, gelangt mit der Feldküche an die Ostfront, gründet eine Familie und feiert Erfolge als Küchenchef im weltberühmten Marine auf Barbados, wo er sich auch als versierter Geschichtenerzähler, Verführer und Trinker erweist.
Doch seit seiner Jugend beherrscht ihn der Zwang, zum Äußersten zu gehen – in jeder Hinsicht. Er macht vor nichts und niemand Halt. Dann verschwindet Günther, plötzlich und spurlos.
Jahre später erfährt die Tochter, dass er auf Barbados im Sterben liegt. Was folgt, ist eine atemberaubende Wiederbegegnung und der Anfang eines rückhaltlosen Erzählvorgangs, eingebettet in das Bestattungsritual der Kariben.

Stimmen
Kunst als Befreiungsakt. Ein sinnliches, sprachlich ungemein kultiviertes Weltverhältnis.
Kersten Knipp, Süddeutsche Zeitung

Büchners Frage: Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? – hier ist sie in eine unheimliche Konsequenz getrieben. Der Missbrauch geschieht in diesem Buch auf gespenstische Weise wie nebenbei, der Psyche des Täters entsprechend, der das Ausmaß des Verbrechens offenbar nicht begreift. Schnörkellos, unmittelbar packend, doch alles andere als ein Leidensprotokoll.
Volker Hage, DER SPIEGEL

„Vier Arten meinen Vater zu beerdigen“ ist ein unvergesslich intensives, ein zugleich nüchternes wie brennend leidenschaftliches Buch.
Elke Heidenreich, WDR2 Buchtipp

Mit „Vier Arten meinen Vater zu beerdigen“ gelingt der Autorin ein unglaublicher Spagat: Sie schreibt lakonisch, in sinnlich-suggestiven Bildern und macht vor den furchtbarsten menschlichen Abgründen nicht Halt.
Brigitte

Sie erzählt geradezu filmisch … es ist ihr bisher stärkster Roman überhaupt.
Hajo Steinert, Deutschlandfunk

Eine anmutige, gleichzeitig beklemmende Geschichte. Es fasziniert die Beiläufigkeit des Schreckens, … wie aus dem schüchternen Kind ein Monster, aus dem charmanten Geschichtenerzähler, der Gewalt so sehr hasst, ein Säufer und Kinderschänder wird. Die poetische Annäherung an eine unbegreifliche Figur.
Ulrike Baureithel, Die Welt

Weder wird die Erzählung der Tochter Alma zum Gerichts- noch zum Schauerroman. Denn sie ist angesteckt von der Weltoffenheit und Erzähllust des pikarischen oder Schelmenromans, der schon so vielen Romanen der Weltliteratur auf die Sprünge geholfen hat, nicht zuletzt dem Felix Krull.
Walter Hink, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der Roman beginnt mit einem ironisch angeschlagenen, chronikal betulichen Tonfall, steigert sich dann in eine rauschhafte Atemlosigkeit, die mit dem exzessiven Lebenswandel des Porträtierten korrespondiert, und endet auch sprachlich in einer befreiten, fast heiteren Gelassenheit. Liane Dirks hat in diesem Roman ihren Vater metaphorisch beerdigt. Dem Leser aber hat sie die verstörend unholde Figur eines Unersättlichen zum Leben erweckt, die man so schnell nicht wird abschütteln können.
Klaus Modick, Frankfurter Rundschau

Liane Dirks klärt diese Dramen nicht auf, sie sucht weder Versöhnung noch Abrechnung. … Mit ihrer lichten luziden, fast bunten Prosa kappt sie die Taue, die uns an ein schiffbrüchiges Jahrhundert und seine traurigen Matrosen binden.
Walter van Rossum, Die Zeit

Persönliches
Irgendwann kam ein Anruf aus Hongkong: Er habe fünf Hotels, sagte er, er sei reich geworden. Meine Mutter legte den Hörer auf und lachte laut. Das war das letzte Mal, dass wir etwas von meinem Vater gehört hatten.
Was macht man mit einem Vater, der verschwunden ist? Der sich im Dunst der Lügen und Erfindungen, im Nebel der eigenen Geschichten aufgelöst hat? In Hongkong gab es keinen Günther Andreas Johannes Dirks, auch unter den anderen Namen, die er benutzt hatte, ließ sich der deutsche Koch dort nicht finden. Ich hätte durchaus gerne ein Hotel geerbt, aber das war nicht der einzige Grund, warum ich anfing, ihn zu suchen.
Er beschäftigte mich. Was war aus ihm geworden, wie ist er alt geworden, wie lebt man mit so einem Leben, nach all den Exzessen, nach dem Suff, nach all dem Sex, nach dem Gefängnis, nach den Frauen, die man hatte, den Männern und den Kindern, wie lebt man da? Hatte er immer noch diese Sehnsucht, die ihn ja merkwürdigerweise am meisten antrieb, die Sehnsucht, rein zu sein? Erlöst zu werden?
Und weiß man das überhaupt, dass hinter der Tatsache, sich mit dem größten Dreck vollzustopfen – und Übermaß ist immer Dreck –, die Sehnsucht nach Reinheit steht, nach dem genauen Gegenteil, die Sehnsucht sich aufzulösen, die Grenze zu überschreiten, erlöst zu werden von der Form, in der man steckt und der man nicht entkommen kann, obwohl sie so viel Schmerz bereitet.
Es kann durchaus sein, dass diese Erkenntnis, die ich schon als Kind gewonnen habe, mir das Leben gerettet hat.
Wie kommt es dazu, was sind das für Kräfte, die aus einem sinnlichen, schönen, begabten jungen Mann einen Verbrecher machen?
Und noch etwas anderes hat mich bewegt: Wir können an den Taten nichts ändern, wenn wir immer nur die Opfer verstehen.
So fing ich an, die Geschichte meines Vaters zu recherchieren, es war eine abenteuerliche Reise. Viele Einsichten schenkte mir die Suche, Heilung und: zwei „neue“ Schwestern, von deren Existenz ich bis dahin nichts wusste.

Bei dem Prozess des Schreibens wurde aus dem eigenen Vater eine Figur: little Günther.
Ich habe ihn gerne, den kleinen Jungen, der an der Hand des schönen karibischen Kindermädchens durch das Hamburg der Zwanzigerjahre läuft, im elterlichen Salon zuguckt, wie den reichen Herrschaften die Haut gepflegt wird, der den von einer Gasexplosion zerfetzten Körper des Onkels betrachten muss, der die Mutter des nachts ihre Cremes rühren sieht und den Vater im Bordell weiß.
Koch will er werden, und in den Krieg muss er ziehen, die Welt will er bereisen, raus will er, raus aufs Meer, und doch ist das Herz dabei so eng, nie will es richtig aufgehen. Ich hab ihn gern. Schreibend habe ich ihn verlassen.