Geschichten
Hotel Rex
Einen Burger essen,
einen American Burger
mit French Fries essen
in Saigon, am
2. Weihnachtstag.
In Saigon, das jetzt Ho-Chi-Minh-Stadt
heißt und in dem die Roller tosen
rund um dieses Hotel.
Dieses aberwitzige, von Historie geschwängerte Hotel.
In dem die Reporter saßen.
Kriegsreporter mit Whisky in der Hand
und Stift hinter den Ohren oder in der
anderen Hand oder im Hirn oder im Herzen.
Oder überall.
Die Deko aus Eiszapfenglas, der grüne Plastikbaum
mit roten Kugeln und der
alte Vietnamese, der Sinatra-Lieder singt.
Und das Buch von der Buddhistin, die gefoltert wurde, auf dem
Tisch vor Augen.
Und die Schreie, die Schreie und die
Bilder, die Bilder.
Wieso das denn jetzt? Wieso denn Saigon?
Und zu all den Fragern gesagt haben: Ich weiß nicht warum, aber
ich muss dort hin.
Und das Taxi verpassen
und den Rückweg versäumen.
Und durch die Stadt geschoben werden
von Tausenden, von Tausenden, gedrückt,
belächelt, ignoriert. („Nein, so freundlich wie die Thais sind sie nicht“.)
Victory, zwei Finger hoch, Victory, den Sieg dem Himmel zeigen.
Siebzig Prozent unter dreißig, sagte der Lektor. Überlegen Sie einmal, was das
für das Geschichtsbewusstsein heißt, sagte der Lektor.
Der Lektor an Bord, an Bord des Schiffes, das im Hafen wartet,
den Hafen, den ich nicht erreichen kann.
Das Schiff, vor dem sie mit warmen, feuchten Handtüchern und Softdrinks stehen
und jetzt schon nicht mehr stehen,
zu spät, und das ich verpassen werde,
dessen Abfahrt, dessen Hymne, dessen Schiffshorntuten ich versäumen werde,
weil ich in der Flut feststecke,
dieser Flut aus lachenden, fröhlichen, jungen
vietnamesischen Weihnachtsmenschen.
Saigon, Saigon. Warum weine ich denn?
Ich habe hier nicht gemordet.
Auch meine Verwandten nicht,
auch mein Land nicht, warum weine ich denn
so, in den Burger hinab, in die Mayonnaise, in das Bier,
das holländische Allerweltsbier.
Warum kneift mich das kleine Mädchen?
Warum kann ich diesen Abend nicht vergessen,
vergessen, vergessen.
Saigon am 2. Weihnachtstag.
Ich sollte einen Vortrag halten über
Brechts Begegnung mit Laotse und über den Buddhismus
und über Tai Chi und das, was grundlegend ist. Die Leere, die Leere.
Aber in Saigon, am 2. Weihnachtstag, da gibt es nur das: die Fülle, die Fülle.
Den Rausch, den Rausch des Lebens.
Und sie heben ihre Gläser am Tisch, und ich kenne sie nicht,
sie prosten und sie prosten mir zu und ich weine Sturzbäche in die Mayonnaise
und in das Ketchup hinein und das Fleisch würgt im Hals und der Bacon
zerrt in der Kehle.
Das Handy klingelt: Wir erwarten Sie, das Schiff legt gleich ab, wo sind Sie?
Hotel Rex.
Nein, ein Taxi gibt es nicht. Diese Stadt ist voll, voller Menschen, eine
Stadt voller Menschen, kein Durchkommen mehr, so dicht.
Und ich woge hindurch, woge auf und ab und das Programm für die
Luxustouristen ist um einen Punkt ärmer geworden. Weil ich nicht
zurückkehre, weil ich bleiben muss, weil ich hier bleiben muss, ein Zimmer
mieten muss und bleiben muss.
Hier auf dem Dach hielten sie ihre „five o’clock follies“,
Märchenstunden der Grausamkeiten.
Ich trinke und ich bleibe.
Der Sänger kommt an meinen Tisch.
Lady, sagt er, Lady. Nur das: Lady. Lady beautiful.
Aber was weißt denn Du?
Was weißt Du?
Und weil ich eine Scheckkarte habe, kann ich bleiben, überall
auf der Welt, ich bleibe.
Das Schiff legt ab. Ich bleibe.
Mama Mekong wartet auf mich auch noch am nächsten Tag.
Ich werde ihnen nachfahren.
Diese eine Nacht im Hotel Rex,
als habe ich, als habe es
darauf gewartet.
Bildertanz, Totentanz, Lebensfreude.
Ho-Chi-Minh-Stadt am 2. Weihnachtstag.
Niemand – außer einer Schiffscrew – vermisst mich.
Ich bin ein Hotelkind. Ein Kind des Hotels.
Rex.
Mit einem Hubschrauber haben sie den Letzten geholt. Kurz bevor das Danach kam.
Dieses unendlich lange, stille, grausame Danach.
Im Danach entscheidet sich,
wer Du bist und wer Du sein willst.
Und erst, wenn Du Dich entschieden hast,
kannst Du die Entscheidung vergessen.
Woher ich das weiß?
. . .
Hotel Rex
Einen Burger essen, einen American Burger mit French Fries essen in Saigon, am 2. Weihnachtstag.
In Saigon, das jetzt Ho-Chi-Minh-Stadt heißt und in dem die Roller tosen rund um dieses Hotel.
Dieses aberwitzige, von Historie geschwängerte Hotel.
In dem die Reporter saßen.
Kriegsreporter mit Whisky in der Hand und Stift hinter den Ohren oder in der anderen Hand oder im Hirn oder im Herzen.
Oder überall.
Die Deko aus Eiszapfenglas, der grüne Plastikbaum mit roten Kugeln und der alte Vietnamese, der Sinatra-Lieder singt.
Und das Buch von der Buddhistin, die gefoltert wurde, auf dem Tisch vor Augen.
Und die Schreie, die Schreie und die Bilder, die Bilder.
Wieso das denn jetzt? Wieso denn Saigon?
Und zu all den Fragern gesagt haben: Ich weiß nicht warum, aber ich muss dort hin.
Und das Taxi verpassen und den Rückweg versäumen.
Und durch die Stadt geschoben werden von Tausenden, von Tausenden, gedrückt, belächelt, ignoriert. („Nein, so freundlich wie die Thais sind sie nicht“.) Victory, zwei Finger hoch, Victory, den Sieg dem Himmel zeigen.
Siebzig Prozent unter dreißig, sagte der Lektor. Überlegen Sie einmal, was das für das Geschichtsbewusstsein heißt, sagte der Lektor.
Der Lektor an Bord, an Bord des Schiffes, das im Hafen wartet, den Hafen, den ich nicht erreichen kann.
Das Schiff, vor dem sie mit warmen, feuchten Handtüchern und Softdrinks stehen und jetzt schon nicht mehr stehen, zu spät, und das ich verpassen werde, dessen Abfahrt, dessen Hymne, dessen Schiffshorntuten ich versäumen werde, weil ich in der Flut feststecke, dieser Flut aus lachenden, fröhlichen, jungen vietnamesischen Weihnachtsmenschen.
Saigon, Saigon. Warum weine ich denn?
Ich habe hier nicht gemordet.
Auch meine Verwandten nicht, auch mein Land nicht, warum weine ich denn so, in den Burger hinab, in die Mayonnaise, in das Bier, das holländische Allerweltsbier.
Warum kneift mich das kleine Mädchen?
Warum kann ich diesen Abend nicht vergessen, vergessen, vergessen.
Saigon am 2. Weihnachtstag.
Ich sollte einen Vortrag halten über Brechts Begegnung mit Laotse und über den Buddhismus und über Tai Chi und das, was grundlegend ist. Die Leere, die Leere.
Aber in Saigon, am 2. Weihnachtstag, da gibt es nur das: die Fülle, die Fülle.
Den Rausch, den Rausch des Lebens.
Und sie heben ihre Gläser am Tisch, und ich kenne sie nicht, sie prosten und sie prosten mir zu und ich weine Sturzbäche in die Mayonnaise und in das Ketchup hinein und das Fleisch würgt im Hals und der Bacon zerrt in der Kehle.
Das Handy klingelt: Wir erwarten Sie, das Schiff legt gleich ab, wo sind Sie?
Hotel Rex.
Nein, ein Taxi gibt es nicht. Diese Stadt ist voll, voller Menschen, eine Stadt voller Menschen, kein Durchkommen mehr, so dicht.
Und ich woge hindurch, woge auf und ab und das Programm für die Luxustouristen ist um einen Punkt ärmer geworden. Weil ich nicht
zurückkehre, weil ich bleiben muss, weil ich hier bleiben muss, ein Zimmer mieten muss und bleiben muss.
Hier auf dem Dach hielten sie ihre „five o’clock follies“, Märchenstunden der Grausamkeiten.
Ich trinke und ich bleibe.
Der Sänger kommt an meinen Tisch.
Lady, sagt er, Lady. Nur das: Lady. Lady beautiful.
Aber was weißt denn Du?
Was weißt Du?
Und weil ich eine Scheckkarte habe, kann ich bleiben, überall auf der Welt, ich bleibe.
Das Schiff legt ab. Ich bleibe.
Mama Mekong wartet auf mich auch noch am nächsten Tag.
Ich werde ihnen nachfahren.
Diese eine Nacht im Hotel Rex, als habe ich, als habe es darauf gewartet.
Bildertanz, Totentanz, Lebensfreude.
Ho-Chi-Minh-Stadt am 2. Weihnachtstag.
Niemand – außer einer Schiffscrew – vermisst mich.
Ich bin ein Hotelkind. Ein Kind des Hotels.
Rex.
Mit einem Hubschrauber haben sie den Letzten geholt. Kurz bevor das Danach kam.
Dieses unendlich lange, stille, grausame Danach.
Im Danach entscheidet sich, wer Du bist und wer Du sein willst.
Und erst, wenn Du Dich entschieden hast, kannst Du die Entscheidung vergessen.
Woher ich das weiß?
. . .